Es gibt Momente in der Rockgeschichte, die sich nicht einfach nur in Musik und Bildern (Video) fassen lassen. Sie sind magisch, beinahe überirdisch – ein Augenblick, in dem Kunst, Emotion und Präsenz zu einer Einheit verschmelzen. Die Live-Performance von Fleetwood Mac im Jahr 1976, insbesondere der Song „Rhiannon“, dargeboten von der Sängerin Stevie Nicks (damals 27), ist ein solch seltener Moment, der einfach nur noch fesselt.
Schon in der Einleitung lässt sich erahnen, dass etwas Aussergewöhnliches geschehen wird. Stevie tritt vor, der Blick entrückt, die Stimme weich und doch beschwörend:
„This is a song about an old Welsh witch.“
«Dreams unwind
It’s still a state of mind
Take me like the wind, child
Take me to the sky
Take me like the wind, baby
Take me to the sky
All the same, all the same, all the same
Rhiannon»
Der Refrain – der Moment, in dem Zeit und Raum verschwimmen – Diese Worte sind kein blosser Einstieg, sondern eine Beschwörung – ein Tor in eine andere Sphäre. Es ist, als ob Nicks sich selbst in eine Figur verwandelt, die nicht nur singt, sondern das Wesen von „Rhiannon“ kanalisiert, auslebt, ihm ein Leben, ein Zeichen gibt. Der Mythos der walisischen Göttin, die durch Luft und Zeit gleitet, frei und ungebunden, wird zur Projektionsfläche – und Stevie Nicks ist das Medium.
Mit jeder Wiederholung dieses Namens scheint Nicks tiefer in Trance zu verfallen. Ihre Augen sind halb geschlossen, der Blick nach innen gerichtet. Es ist, als ob sie sich selbst auflöst, um vollkommen in dieser Figur, dieser Geschichte, dieser Emotion aufzugehen. Sie vergisst die Band, das Publikum, die Bühne – es existiert nur noch „Rhiannon“, endlos, kreisend, beschwörend. Eine Spirale der Gefühle, die sich mit jedem Ton weiter auflädt – die Band weit weg, aber ebenfalls im Banne von Nicks und ihrer «Rhiannon» – Buckingham treibt dies mit seinem Gitarrensolo unaufhaltsam an, Drummer Mick Fleetwood – ist zu diesem Zeitpunkt bereits vom Zauber gefangen, ist mittendrin und lebt es visuell gestikulierend aus.
In diesem Moment zeigt Stevie Nicks eine Form der Performance, die sich nicht auf Tonträger bannen lässt. Keine Live-CD, keine LP, keine Studioaufnahme kann das einfangen, was sich 1976 auf der Bühne abspielte. Es ist die Verschmelzung von Stimme, Bewegung, Mimik, Präsenz – ein Erlebnis, das zwingend visuell ist. Nur wer ihr in diesem Moment zusieht, versteht den wahren Zauber von „Rhiannon“.
Sie ist keine Sängerin – sie ist eine Schamanin.
Mit zunehmender Dauer der Darbietung wird die Atmosphäre dichter, fast elektrisierend. Nicks beginnt sich zu bewegen, ihre Arme kreisen, ihr Körper folgt einem inneren Rhythmus, der jenseits der Musik zu existieren scheint. Ihre Stimme durchläuft Höhen und Tiefen, die mehr ausdrücken als Text und Melodie – sie lässt Emotionen durch sich hindurchfliessen, roh, unverstellt, ehrlich und direkt. Es ist keine Darbietung mehr – es ist ein Rausch – die junge Nicks ist gefangen in der Ekstase dieses Songs.
Was 1976 geschah, war kein gewöhnliches Konzertmoment. Es war eine rituelle Selbstoffenbarung, ein ekstatischer Zustand, der sich tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat. Stevie Nicks zeigte, was es heisst, sich völlig der Kunst hinzugeben…
…Unzensiert! Magisch! Frei!