Nebst den Laurel Canyon Musikgrössen wie Jim Morrison oder Eric Clapton, fanden auch Graham Nash, Stephen Stills und David Crosby – die harmoniesüchtigen Rebellen von Crosby, Stills & Nash – Zuflucht im legendären Château Marmont vor dem Wahnsinn der Aussenwelt.

Für Crosby, Stills & Nash war das Château Marmont mehr als nur ein Versteck – es war ein stilles, dekadentes Refugium inmitten des tobenden Sturms. Als ihre erste Platte 1969 einschlug wie ein Donnerhall und sie plötzlich zu Sprachrohren einer ganzen Generation wurden, brauchten sie einen Ort, an dem sie die Stimmen draussen zum Schweigen bringen konnten. Das Château bot genau das: dicke Mauern, schwere Teppiche und die düsteren Samtvorhänge der Hotelzimmer ihnen halfen, den Tag zu vergessen und sich vollkommen der Musik und den Drogen hinzugeben.

In den dunklen Fluren des Marmont verdichtete sich die fragile Magie von Crosby, Stills & Nash: das Streben nach Erleuchtung, der Absturz in die eigene Dunkelheit, und dazwischen diese unfassbare Musik, die immer klang, als wäre sie der letzte Versuch, die Welt doch noch zu retten.

Nacht im Château – David Crosby auf dem Balkon
David Crosby, der dunkle Engel der Band, driftete derweil immer tiefer ab. Er verschanzte sich oft tagelang in seinem Zimmer, begleitet nur von einer Gitarre, einer endlosen Reihe von Weinflaschen und Kokainlinien auf den gläsernen Nachttischen. Manchmal hallte seine zerbrechliche Stimme spät in der Nacht durch die Gänge, irgendwo zwischen Schönheit und Zusammenbruch gefangen.

Es war im Herbst 1970, David Crosby sass auf dem  Balkon seines Zimmers im Château Marmont, eine halbleere Flasche Rotwein zwischen den Knien. Der smogverhangene Himmel von Los Angeles hing schwer über dem Sunset Boulevard, das Licht der Stadt pulsierte wie ein Herzschlag.
Crosby rauchte – nicht nur Zigaretten – und blickte hinab auf die vorbeiziehenden Autos, die wie Geisterschiffe durch die Nacht glitten. Neben ihm lag eine akustische Gitarre, verstimmt, verkratzt. Er spielte Akkorde, die kaum hörbar waren, bruchstückhafte Melodien, verlorene Fragmente von Liedern, die vielleicht nie auf Platte landen würden. 

Aus einem anderen Zimmer wehten Stimmen – Gelächter, das an Kanten schnitt. Vielleicht war es Stephen Stills, vielleicht Graham Nash, vielleicht auch nur ein paar fremde Seelen.
Die Nacht war warm, süss und gefährlich. Crosby liess die Welt verschwimmen, sein Herz schwer von Liebe, Verlust und all den Liedern, die er nie zu Ende geschrieben hatte – Im Château Marmont war jede Nacht eine kleine Tragödie oder ein Wunder – manchmal beides zugleich.

Stephen Stills – der Flügel in der Lobby
Stephen Stills, der Getriebene der Gruppe, verwandelte sein Zimmer regelmäßig in eine improvisierte Aufnahmestudio-ähnliche Festung: Verstärker, Gitarren, Whiskyflaschen, verstreute Manuskripte – Kreativität auf Speed. Gerüchte behaupten, dass frühe Fragmente von «Carry On» hier zwischen Dämmerzuständen und endlosen Jam-Sessions entstanden. Gegen vier Uhr morgens lag das Château Marmont in einem Dämmerzustand. Der Marmorfussboden glänzte stumpf im schmutzigen Licht der Flurlampen. Es war die Stunde der verlorenen Seelen – und Stephen Stills gehörte in dieser Nacht dazu.
Barfuss und mit einer halb geleerten Whiskeyflasche in der Hand schlurfte er durch die Lobby, das weisse Leinenhemd offen, die Haare wirr. Irgendjemand hatte einen alten, verstimmten Flügel stehen lassen.

Stills liess sich auf die Klavierbank fallen, er spielte keine Songs, keine Hits. Keine «Suite: Judy Blue Eyes«, kein «Helplessly Hoping» – nur lose Akkorde, kleine gebrochene Skalen, Melodien. Eine Nachtportier blickte vom Schreibtisch auf, sagte aber nichts. Im Château redete man nicht, wenn einer der Götter seine Dämonen loswerden musste.

Stills sang leise. Zeilen von Liedern, die niemals geschrieben wurden. Geschichten über verpasste Chancen, über Liebe, die weggelaufen war, schneller als er sie fassen konnte.
Stephen Stills hob den Kopf, lächelte schief – und spielte weiter, als könnte er sich mit jeder Note ein Stück der verlorenen Zeit zurückholen.

Graham Nash – Morgengrauen im Bungalow
Graham Nash residierte oft in einem der kühlen Bungalows im hinteren Teil des Anwesens. Hier schrieb er erste Skizzen zu Songs wie «Our House«, inspiriert von der Idee eines einfachen, stillen Glücks.
Die erste, blasse Morgensonne schlich sich über die Dächer von West Hollywood, färbte den Himmel in ein schmutziges Rosa.
Graham Nash wachte auf, irgendwo zwischen Traum und Restrausch, in einem der kleinen Bungalows am Rand des Château Marmont.

Im Hintergrund lief ein Radio leise – irgendjemand spielte Otis Redding, «I’ve Been Loving You Too Long«. Nash griff nach dem Notizbuch. Die Seiten waren zerknittert, an manchen Stellen klebten noch Weinflecken. Er begann zu schreiben – Satzfetzen, Verszeilen, Gedanken, die halb aus seinen Träumen kamen und halb aus dem, was die Nacht zurückgelassen hatte.

«Our house is a very, very, very fine house…»

Er wusste nicht, ob der Satz lächerlich oder genial war. Vielleicht beides. Vor ihm lag Los Angeles, noch schläfrig, noch unschuldig für diesen einen Moment, bevor der Tag wieder begann, seine Versprechen zu brechen.
Im Château Marmont hatte alles eine andere Schwere. Jeder Sonnenaufgang war ein kleiner Akt des Überlebens, jede fertige Zeile ein Sieg über die eigene Müdigkeit.

Stephen Stills, rastlos und aufgeladen, schrieb hier an Songs, die zwischen Euphorie und Verzweiflung pendelten. Währenddessen verlor sich David Crosby mehr und mehr im Kokainnebel, verschwand manchmal tagelang hinter den abgeschlossenen Türen seiner Suite.

Das Château Marmont war ihr geheimer Beichtstuhl – ein Ort, an dem sie sich die Wahrheit eingestanden, bevor sie wieder hinausgingen, um die Lüge vom ewigen Frieden weiterzusingen. 

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